Der Dummheitensammler (Phantastisches Ostbayern)

Während eines fürchterlichen Sturms befreite sich die Mutter qualvoll von der Frucht ihres Leibes. Der Vater des Kindes kämpfte gegen die Kraft der Windböen, die das Holzhaus durch die Luft tanzen lassen wollten. Die Großmutter hantierte mit Wasser, Tüchern und Kind. Der Schrei des Vaters: „Es ist ein Junge!“, brachte Sturm und Großmutter zur Ruhe.
Der Junge wuchs über alle Maßen schnell heran. Von stämmiger Statur platzte er schier vor Kraft und Gesundheit. Er gehorchte widerspruchslos den Eltern. Mühelos lernte er den üblichen Schulstoff bei seinem Vater, der vor dem Wegzug aus der „Stadt“ Lehrer gewesen war.
Vater, Mutter und Oma hatten sich in den Dunkelwald zurückgezogen, weil ihnen die Welt außerhalb unerträglich war mit ihrem Lärm, Schmutz und Gestank.


Phantastisches Ostbayern. Märchenhafte Geschichten und wundersame Ereignisse

„Das Höchste, wozu der Mensch gelangen kann, ist das Erstaunen.“ (Goethe). Genau dieses Ziel setzten sich die Autoren des „Verbandes deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller Ostbayern“ mit ihren Erzählungen in dem Buch „Phantastisches Ostbayern“. Beim SüdOsT-Verlag erschien diese Geschichtensammlung über Ereignisse, die jenseits des Alltags liegen. Phantastisches zeigt sich in ihnen, Geschehnisse, die auf den ersten Blick unsinnig sind, deren Wirklichkeits- und Wahrheitsgehalt sich auf einen zweiten Blick erschließt und Staunen auslöst, weil Ungewohntes zum Vorschein kommt.

Diese Sammlung von Märchen, Sagen, Science-Fiction, Gespenstergeschichten, Utopien und Mythen von 23 Erzählern führt den Leser in eine Welt, in der nichts ist, wie es scheint. Hinter der Alltagskulisse öffnen sich Welten, die weit in das Wesen des Menschen dringen. »Und nur einer, der einst mit einem Glückshäubchen auf dem Kopf an einem Sonntag geboren wurde und mit der Blauen Blume der Romantik in der Hand zu einer […] verwunschenen Burg kommt, kann, wenn es der richtige Tag ist, den Zugang zur geheimnisvollen Zauberwelt im Inneren der Burg finden.« (Franz Joseph Vohburger: Aus Liebe verschollen, S. 211) Dort findet er die geistigen und seelischen Schätze, die das Leben lebenswert machen.

Ob der »Dummheitensammler« (Wolf Hamm) die Torheiten der Menschen in einer Donaustadt unschädlich zu machen versucht oder ein Musiker aus dem bayerischen Wald durch Hilfeleistung zu Wohlstand kommt (Marita Panzer. Das rote Glas), ob der Bauer Magerkorn sein Leben glücklich gestaltet, indem er einem buckligen Männlein mageren Samen abkauft und statt einer guten Ernte eine gute Ehefrau bekommt (Rolf Stemmle: Goldacker und Magerkorn) oder ein Schneiderlein auf seiner Reise zum Föhn scheitert, aber immerhin die Kopfwehtablette erfindet (Thyra Thorn. Der Föhn) und mutmaßlich am Föhn verdient. Die Geschichten in diesem Buch, die an Orten in Ostbayern spielen, stellen nicht einfache Geschehnisse vor, sondern bieten mit ihnen ein Programm zur sinnvollen Lebensgestaltung. In einfachen Worten zeigen sie hilfreiche und schädliche Verhaltensweisen auf, wie sie den meisten Lesern bekannt sind. In kritischer Auseinandersetzung mit ihnen begibt sich der Leser auf die Suche nach Orten und Zeiten, in denen das Erstaunen zum Wesentlichen des Lebens führt.